Fundstücke: Männer, Frauen und Rentiere (Woche 11)

Schnee auf Dächern

Blick aus dem zweiten Stock des Konvikts

Xueon? Awaxer?! Raeve! Neben neuen Wörtern lerne ich diese Woche wieder etwas fürs Leben – zum Beispiel den richtigen Umgang mit Literatur. („Lies niemals, wenn du darüber eine notwendige Arbeit versäumen würdest; die Pflicht geht vor.“) Außerdem schenkt mir das Publikum bei einer Veranstaltung Wörter für neue Texte.

Momente der Woche

  • Die Außenwände mancher Häuser in der Rottweiler Kernstadt krümmen sich so stark nach außen, dass sie bauchig, fast schwanger aussehen. Am Dienstag stehe ich wieder vor einem Exemplar, dessen Putz so aufgebläht aussieht, als würde er gleich platzen. Auf diese Weise entstehen hier neue Häuser: wenn ein Gebäude den Druck hinter dem bröckelnden Putz nicht mehr aushält und ein neues Haus gebiert.
  • In der Ausstellung GRÖSSERSCHNELLERBESSERMEHR von Ruprecht von Kaufmann im Forum Kunst vergucke ich mich in eine schwebende Figur aus bemaltem und gerolltem Papier, die gleichsam in den Raum springt – ein Fuß steckt (gemalt) an der Leinwand fest, das Bein streckt sich als Papierspirale durch den Raum.
  • Kaufmann_Ausstellung

    Figur in der Ausstellung GRÖSSERSCHNELLERBESSERMEHR von Ruprecht von Kaufmann

    Drei Schülerinnen sitzen zwischen Bonbon-Tüten auf den Stufen zur Stadtbibliothek. Sie sortieren Bonbons, lachen und scheinen ganz vergessen zu haben, dass sie schon über eine Handvoll Jahre zur Schule gehen. Als ich interessiert hinschaue, verstummen sie – ein mühevoll unterdrücktes Kichern.

  • Am Mittwoch löse ich mit zwei Schülern ein Kreuzworträtsel der Süddeutschen Zeitung. Am Schluss erfinden wir die Antworten, die uns noch fehlen. Wie nennen das mongolische Reitervolk „Awaxer“, den Unterrock „Xueon“ und das weibliche Bühnenfach „Raeve“. (Den selten benutzten Buchstaben „X“ privilegieren wir zum Ausgleich für die andauernde Diskriminierung.)
  • Beim „Schreibsport“ am Freitag schenkt mir das Publikum Stichwörter (jeder Anwesende mindestens eins), zu denen ich Texte live schreibe. (Das Publikum kann die Textentstehung dank Beamer beobachten.) Acht Anregungen werden aus dem Lostopf gezogen und sorgen für Heiterkeit und neue Texte:
    1. Wertschätzung
    2. Krieg der Raben
    3. Schokobanane
    4. Ich kann mich nicht entscheiden …
    5. Amsterdam / Meer
    6. Nachtspeicherofen / Gedicht
    7. Vergebung
    8. Engel

Bühne_Schreibsport

Begleitet von der Band Gazza Choro Brazil schreibe ich „Geschichten zum Mitnehmen“. Foto: Christiane Frank

Anzeichen für (nahenden) Winter

  • Schnee in Puderform auf Dächern
  • Kondenswasser zwischen den Fensterscheiben bleibt dauerhaft (nicht nur in meinem Zimmer)
  • Vorfreude auf einen möglichen Adventskalender
  • Auf den Fensterbrettern: kleine Rentier-Aufsteller aus Holz
  • Auf den Tischen: Weihnachtssterne, mit Sternen bedruckte Servietten sowie Teelicht-Behälter mit gestanzten Schriftzügen: „Merry X-Mas“, „Twinkle Twinkle“ und „It’s Winter Time“.
  • Mützen und Handschuhe haben plötzlich wieder eine Funktion (man vermisst sie sofort, sobald man das Haus ohne sie verlässt)
  • Glitzern auf nächtlichem Asphalt (um den Gefrierpunkt)

Zitat der Woche

„Sie duscht nie. Sie badet immer.“

Geschäftsidee der Woche: Ehrlichkeit

Am Mittwoch finde ich in meinem Spam-Ordner eine E-Mail mit dem Betreff „spam“ von einem Absender, den ich nicht kenne. Die Nachrichtentext besteht aus einem Link und den zwei Wörtern „Download Virus“. Dass jemand endlich mal direkt sagt, worum’s geht, finde ich erfrischend. Kurz bin ich neugierig, was sich hinter dem Link verbirgt. Aufs Klicken verzichte ich trotzdem.

Fundstücke aus der Bibliothek des Konvikts

Mit dem Direktor des Konvikts, Dr. Fiedler, sortiere ich am Donnerstag Bücher der Konviktsbibliothek (nach Belletristik und Literaturwissenschaft sind nun Philosophie, Psychologie, Sachbücher und Fundstücke dran). Immer wieder ziehen wir Kurioses aus den Stapeln. Vieles davon sortieren wir aus, einiges landet auf einem Stapel „zur allgemeinen Belustigung“.