Fast-Wahnsinn, Fast-Schwerelosigkeit und fast-sinnvolle Adressen: Meine vierte Woche in Rottweil hält weitere Entdeckungen für mich bereit. Neben einer sehenswerten Theaterpremiere im Zimmertheater sind darunter auch weitere Einblicke ins Konviktleben und ein sehr salzhaltiges Glücksgefühl.
Momente der Woche
- Am Montag fragt eine Schülerin ihren Mitschüler, einen Neuling im Konvikt, ob er am Freitag wie besprochen zum Schrankdienst in der Kirche angetreten sei. Ja, er sei dort gewesen, aber niemand sonst, antwortet er. Der Schrankdienst sei anscheinend ausgefallen. Sie schmunzelt und rät ihm, doch mal bei Youtube nachzuschauen.
- Als ich an einer Pferdekoppel bei Göllsdorf stehenbleibe, hebt eines der grasenden Pferde seinen Kopf und sieht mich kauend an. Dabei fallen ihm zwei große Grasbüschel aus dem Maul. Ungerührt kaut es weiter.
- In einem Salzwasserbecken der Therme in Bad Dürrheim strecke ich Arme und Beine von mir, liege im Wasser, ohne einen einzigen Muskel zu rühren und fühle mich entspannt wie Patrick der Seestern. Fast döse ich ein. Dabei erinnere ich mich an das Israel-Kapitel in Meike Winnemuths Buch „Das große Los“ und an das Bild der Lesenden, die (fast) gemütlich im Wasser liegt. Ich verspreche mir, auch mal ans Tote Meer zu fahren.
- Am Freitag, bei der Premiere des
Woyzeck im Zimmertheater Rottweil: Während der Rasierszene zwischen Hauptmann und Woyzeck wechseln die beiden Schauspieler fließend ihre Rollen, verwandeln sich im Sprechen vom Hauptmann zu Woyzeck, vom Eingeschäumten zum Einschäumenden, vom Mächtigen zum Ohnmächtigen und zurück – ein intensiver Augenblick mit einer Ahnung von Wahnsinn.
Vokabel der Woche
- Fundstück bei einem Spaziergang (zauberhaft unnahbares Wort): „Stubensandsteinverebnung“
Erkenntnisse der Woche
- Auch Statuen müssen mal duschen. Eine weibliche Figur überrasche ich dabei im Rottweiler Stadtgraben, als es regnet: Die „Diotima“ von Siegfried Haas. Sie hat sich entkleidet und mit der Haarwäsche begonnen. Das Wasser läuft an ihrem Körper herab.
- Seifenblasen sind weniger wasserscheu als gedacht. Am Dienstag pustet ein Nachbar Seifenblasen vom Balkon in den Regen. Die Blasen schweben einige Meter, die meisten nah an der Hauswand, im Schutz des Dachs, einige aber auch durch die fallenden Tropfen.
- In Göllsdorf ist es gleich an zwei verschiedenen Stellen möglich, sich an der Gabelung von Schlossstraße zu Schlossstraße und Schlossstraße zu treffen.
- Zum ersten Mal in meinem Leben probiere ich eine Solid-State-Disk (SSD) aus. Es ist eine Offenbarung (so still! So schnell!). Dringende Empfehlung!
Frage der Woche
- Woher weiß man, ob man etwas „rechtzeitig“ getan hat?
„Stubensandsteinverebnung“ ist ein wunderbares Wort. Fast poetisch. Man muss sich das mal so richtig auf der Zunge zergehen lassen – oder ein Gedicht darüber schreiben.
Wollen wir?
Mit deiner Frage nach der rechten Zeit würde ich mich ab Donnerstag mal beschäftigen, die scheint mir doch existenziell wichtig zu sein.
Ich freu mich schon auf nächste Woche! 🙂
Liebe Grüße!
Liebe Ulrike,
danke, ich war auch ganz entzückt von dem Wort 🙂 Gedicht: gern, aber ich weiß nicht, ob man bei so einem tollen Wort noch viel drumherum machen kann 😉
Danke für die lieben Worte und liebe Grüße aus Rottweil,
Carola
Hallo Carola,
nur um Rückfragen deiner Leser vorzubeugen:
Solid-State-Drive wäre richtig; allerdings verschafft der Link ja Erleuchtung. 😉
Schöne Grüße,
Tobi
Hallo Tobi,
schön, von Dir zu lesen, und danke für die Anmerkung 🙂 Soweit ich weiß, werden beide Begriffe verwendet, z.B. auch im verlinkten Wikipedia-Artikel 😉 Demnach sind beide Begriffe umstritten bzw. streng genommen nicht korrekt, da es sich nicht um ein Laufwerk handelt (keine beweglichen Teile), wie auch der englischsprachige Wikipedia-Artikel anmerkt: „it contains no actual disk, nor a drive motor to spin a disk“.
Liebe Grüße aus Rottweil,
Carola
CHAPEAU!