Freiburg, Villingen, Rottweil, Stuttgart: Diese Woche bin ich viel unterwegs, vor allem mit der Bahn. Dabei gehe ich auf Zeitreise (fast zwanzig Jahre in die Zukunft!), erreiche das Himmelreich, lerne eine neue Verabschiedungsformel und stelle fest, dass ich wohl bald meinen Wohnsitz ummelden muss.
Momente der Woche
- Als ich am Montag nach Freiburg fahre, treffe ich zufällig eine Konviktorin im Zug. Gemeinsam fahren wir mit der Höllentalbahn bis ins Himmelreich.
- Am Theater in Freiburg hängt ein großes Banner mit der Aufschrift „Solidarität gegen Terror und Ausgrenzung“ über dem Eingang. Auf den Stufen davor sitzt am Montagabend ein Mann allein. Er hält eine Bierdose und spricht – für die Passanten gut hörbar – mit sich selbst.
-
Eine Studentenkneipe in Freiburg hat ihre Damentoiletten mit Metallskulpturen überlebensgroßer Männerkörper ausgestattet. Auch die Trennwände der Kabinen sind damit versehen – sowie mit kleinen Luken. Ich entriegle die Klappe an einem männlichen Metallhintern und finde eine handbreite Durchreiche zur Nachbarkabine. Die Klappe auf der anderen Seite ist geschlossen.
- Bald werde ich meinen Wohnsitz ummelden müssen, denke ich, als ich in Villingen lese, wie ein Laden damit wirbt, „Ihr freundlicher Frischemarkt“ und „der Lebensmittelpunkt“ zu sein.
- Am Bahnsteig 15/16 des Stuttgarter Hauptbahnhofs, wo gleich ein EC Richtung Klagenfurt einfahren wird, sehe ich am Donnerstagmittag Feridun Zaimoglu. Er raucht und telefoniert (und sieht genauso aus wie im Fernsehen). Ich unterdrücke den Reflex, das bekannte Gesicht zu grüßen. Wir kennen uns ja gar nicht.
Geschmacksurteile der Woche
- Beim Frühstück im Hotel in Freiburg höre ich ein schlimmes Kaffeehaus-Jazz-Cover von „Black Hole Sun“: Eine verschlafene Frauenstimme gähnt den Text. An den Stellen, wo Chris Cornell im Original schreit, murmelt sie temperamentlos. Die Version schafft es aus dem Stand in die Top 3 der schlechtesten Cover, die ich je gehört habe. (Der Eindruck bestätigt sich, als ich das Stück am nächsten Morgen gleich noch einmal hören darf. Es ist auf einem Sampler mit weiteren schlimmen Covern, aber keines davon ist so schrecklich wie dieses.)
- Bei einem Juwelier in Rottweil entdecke ich eine hässliche und zugleich witzige Schaufensterdekoration: groteske Tierchen aus undefinierbarem Material, bemalt und mit Silber und Gold besetzt, schweben und liegen zwischen dem Schmuck, manche von ihnen rund wie Christbaumkugeln. Schwer zu sagen, was sie darstellen sollen. Einige sehen aus wie schielende Schildkröten mit Krönchen, andere wie geschminkte Kugelfische oder fliegende Schweine mit Fischschuppen. Alle schürzen ihre dicken, roten Lippen, als wollten sie Küsschen geben.
-
Die vier Diskutanten des Rottweilers Quartetts am Mittwoch (zu denen ich auch gehörte) sind bei drei von vier Neuerscheinungen unterschiedlicher Meinung: Was der eine mag, findet die andere wenig gelungen – und umgekehrt (betrifft: „Im Frühling sterben“ von Ralph Rothmann, „Briefe an Charley“ von Annette Pehnt und „Die japanische Tasche“ von Adolf Muschg). Nur ein Buch wird von uns übereinstimmend gelobt und empfohlen: „Eigentlich müssten wir tanzen“ von Heinz Helle.
Orientierungspunkt der Woche
Bezeichnend: In Villingen führt die Paradiesgasse zum Bahnhof. (Oder umgekehrt: ins Stadtzentrum.)
Erkenntnis der Woche Bahnmoment 1
Die Bahn ist ihrer Zeit voraus – am Mittwoch, in einem RE auf dem Weg von Herbolzheim nach Offenburg, sogar um 19 Jahre 7 Monate 16 Tage und 1 Stunde.
Corporate Language der Woche Bahnmoment 2
Als der Zug von Stuttgart kommend in München einfährt, verabschiedet uns die Zugbegleiterin mit „Auf Wiedersäen“.